Für Christine Gironcoli-Melichar
Im letzten von Samuel Beckett verfaßten Text heißt es an einer Stelle: „An einem fremden Ort den Ausgang suchend im Dunkel des Tags“. Wie kommt es bloß dazu, daß ich gerade im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit Christine Gironcoli-Melichars Bildern daran erinnert werde? Dunkle, erdige Farben (Grau- und Brauntöne scheinen zu überwiegen) ärmliche Materialien, die an eine Arte Povera eines Jannis Kounellis denken lassen, sind in diesen Werken für mich gegeben. Fundstücke werden in die Bilder integriert, dem Kontext ihrer ursprünglichen Bestimmtheit entzogen. Sein und Schein gehen ineinander nahtlos über. Herannahendes und Verschwindendes sind hier exakt auf den Punkt gebracht.
Eine Tagebucheintragung Kafkas aus dem Jahre 1912 lautet: Auch sonst nichts an mir, was man in Rücksicht auf das Schreiben überflüssiges nennen könnte. Rein Elementares bliebe also übrig. Wie in den Bildern Christine Gironcoli-Melichars Jutesäcke, Kohle, Kreuze. Reste flankieren den Weg des Betrachters. Mutet nicht einiges wie ein Relikt einer Aktion an?
Germano Celant, der versierte Ausstellungsmacher und „Vater“ der Arte Povera, sah in der von ihm mitinitiierten Bewegung eine Reflexion von jahrhundertealter Geschichte, eine Kreuzung aus Ruinen und Fragmenten, in denen Formen und Rhythmen nicht auf ordentlichem Weg gebändigt werden können. Ist dies nicht auch in der Arbeit Christine Gironcoli-Melichars gegeben?
Auf Grund einer persönlichen Weltanschauung ist ein politischer Aspekt nicht zu übersehen. Wusste nicht schon Alexej Jawlensky: Jeder findet in jedem Kunstwerk immer nur das, wozu sich die Seele vorbereitet hat. Christine Gironcoli, die als Christine Melichar der bereits legendär-berühmten Bäumer-Klasse an der Angewandten (u.a. Attersee, Brus, Gironcoli, Schilling) angehörte, ist nun endlich nach vielen Jahren des Restaurierens mit ihren eigenen Kunstwerken präsent. Ad multos annos! Und ein Hermann Schürrer hätte wohl noch hinzugesetzt: Ad finitum gloria!
Gerhard Jaschke, 23.6.2004